Indische Gepflogenheiten

08.09.2012 16:30

In letzter Zeit hatten wir öfters die Gelegenheit uns mit inzwischen befreundeten – weltoffeneren – Indern zu unterhalten. Gerne folgten wir den Einladungen zum Dinner und gemütlichen Beisammensein. Unglaublich was die Hausdamen an Gastfreundlichkeit an den Tag legen. Wenn abends Gäste kommen, wird schon vormittags Essen vorbereitet und gekocht als müsste eine ganze Fussballmannschaft samt Fanclub versorgt werden. Im Wohnraum wird dann „zusammengesessen“ auf Matten und Matratzen zwischen tausenden von Pölstern. Man glaubt es kaum, aber wenn man sich mal an schmerzende Knöchel vom Schneidersitz-sitzen gewöhnt hat, ist es wirklich sehr gemütlich. Erstmal Getränke und Vorspeisen/Suppen (beim ersten Dinner war uns nicht das bewusst, DANACH ist erst der Hauptgang gekommen, fuer den dann nach den leckeren Vorspeisen (die wir für Hauptspeisen hielten) kein Platz mehr war), dann wird getratscht, gelacht, sich amüsiert. Main Course wird später serviert (man isst sehr spät hier, hin und wieder gibt sogar noch um Mitternacht volles Menü), Reis und Nudeln, Hühnchen, Ziege, Linsen, Momos (superlecker –  eine Art Riesenravioli mit Fleisch und/oder Gemüse gefüllt) und verschiedenste schmackhafte Salate ohne Ende. Die Gastgeber essen in seltensten Fällen mit, die haben sich um das Wohl des Gastes zu kümmern, Getränke nachzuschenken, ihn zum Weiteressen zu motivieren und nach dem Essen Reisschnaps und Whiskey zu reichen. Jedesmal aufs Neue ein Festgelage und sehr lustig.

So erfährt man auch in dem einen oder anderen Gespräch einiges über die Kultur und ihre Eigenheiten. Manchmal kommt man aus dem Staunen (gemischt mit Verständnislosigkeit) nicht heraus, wie hier was gehandhabt wird. Mein Highlight ist ja, dass Frauen hier, die ihre Tage haben, ihr eigenes Haus nicht betreten dürfen – da frag ich mich, wie die das dann im Winter machen (Antwort: im Stall, bzw im nicht-wohnlichen Bereich (Erdgeschoss) des Hauses schlafen). In dieser Zeit ist man schmutzig und quasi unberührbar. Diese Frauen darf man dann auch nicht anfassen, wenn doch: Ab ins Bad und sich wieder gründlich saubermachen, sonst auch Hausverbot. (Wir haben überlegt, wie man weiss, dass Frau grad in besagter „Phase“ ist. Antwort: Es wird dem Gegenüber einfach gesagt, quasi: „Greif mich nicht an, ich bin derzeit schmutzig!“) Das selbe gilt für Frauen, die kürzlich ein Kind zur Welt gebracht haben, schmutzig! Pfui, pfui, pfui! Für Unsereins ist es kaum nachvollziehbar, dass etwas so natürliches als derart schmutzig angesehen wird, vor allem wenn man bedenkt, das Indien ja wohl das dreckigste und vermüllteste Land der Welt ist. Mit der Denkweise hier werden wir wohl nicht auf einen Nenner kommen.

Und der Status ist auch so eine Sache, man kann hier noch so arm sein, Gold wird auch von den Ärmsten der Armen getragen (meist viele Ohrringe und –stecker oder überdimensionale Nasenpiercings), eine Prestigesache – obwohl es auch nicht verständlich ist – wenn man in einer sehr niedrigen Kaste ist, dann wird man immer als schlecht angesehen, egal ob mit oder ohne Gold. Gerade bei Hochzeiten muss Frau zeigen, was Mann so kann, d.h. je reicher der Mann ist desto mehr Gold muss her. Die Braut trägt dann einen Nasenring (deshalb haben die kleinen auch schon Nasenpiercings) aus Gold, von dem eine Kette ins Haar bzw unter den Schleier führt und je schwerer und größer die Kette ist, umso angesehener und reicher ist die Familie, es gab schon Hochzeiten, bei denen die Kette bis zu 5 kg gewogen hat, um das tragen zu können musste die Braut sogar operiert werden, und alles nur um zu zeigen, wie toll man ist – schmerzhafte Hochzeit. Muss man ja auch, sonst wird man abgewertet. Diese Kasteneinteilung – die Ghandi ja so sehr erfolgreich (und offensichtlich mit ohne Erfolg) abgeschafft hat – ist eines der Ungetüme des Hinduismus. Es  gibt sogar teilweise eigene Familiennamen und Berufe für einzelne Kasten, somit weiss man schon von vornherein, ob man‘s mit einem Höheren oder Niedrigeren zu tun hat. Menschen in niedrigeren Kasten werden wirklich wie Dreck behandelt, öffentlich ausgelacht – so wie es kürzlich bei mir im Office war. Und mir wurde auch ganz ohne Scham oder Ansatz von schlechtem Gewissen erklärt, dass diese Menschen Bodenlevel haben und nichts wert sind, weil sie in ihrem letzten Leben etwas falsches oder böses gemacht haben – somit haben sie die Lage in ihrem jetzigen Leben auch verdient und keiner hat Mitleid, keiner hilft. Sie haben ihr Schicksal sich selbst zu verdanken. Dann gibt es noch die „Unberührbaren“, die quasi auf Level 0 stehen. Sie sind meist Leichenverbrenner, Müllsammler oder müssen sonstige niedrige Arbeiten machen und werden von Anderen nicht mal berührt, ihnen ist es auch nicht erlaubt Besitztümer anderer anzugreifen. Dadurch konvertieren viele Hindus aus niedrigen Kasten zum Buddhismus oder Christentum, weil es da keine Kasten gibt, was wiederum dazu geführt hat, dass Buddhisten und Christen nun ebenfalls als quasi niedrige Kastenmenschen angesehen werden. Interessantes System.

Soweit so gut, wir freuen uns schon auf weitere interessante Gespräche mit mehr oder noch mehr schockierenden Erkenntnissen um die Kultur (zwar nicht verstehen aber) kennenlernen zu können.

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